Zwischen KI-Glamour und Pommesduft – meine Learntec 2025
Von Timon Dürr | 13.05.2025
1. Überblick: Messeflair und Überwältigung

Wenn man morgens durch den Schwarzwald Richtung Karlsruhe fährt, die Sonne durch das grüne Dach flimmert und der Kaffee noch nachklingt, dann beginnt ein Messetag fast meditativ. Doch kaum durch die Glastüren der Messehallen geschritten, ist es vorbei mit der Ruhe: Menschenströme, Stände, Bildschirme, Bassgewitter aus irgendeiner Halle. Willkommen auf der Learntec 2025.
Was mir sofort auffiel: die unglaubliche Fülle. Nicht nur an Menschen, sondern an allem. Eindrücke, Anbieter, Themen. Als strukturierter Mensch mit Scannerpersönlichkeit kam ich mir vor wie in einem IKEA für Weiterbildungsjunkies. Alles gut organisiert, keine Frage. Doch genau das war es auch: eine Perfektion der Struktur, die fast erdrückend wirkte. Ich war beeindruckt und überfordert zugleich.
Die Hallen verteilten sich thematisch klar: LMS & L&D mit bühnengroßen Auftritten, Universitätssoftware und KI-Hund in Halle zwei, und Halle drei – die sogenannte New Work Evolution – war... überraschend wohnlich. Raumausstattung in all ihren Formen. Sitzwürfel, schalldichte Telefonboxen, bespielte Loungeecken. Ein bisschen Start-up, ein bisschen Business-Class-Wartehalle. Und ein DJ.
Das war der Moment, in dem mir klar wurde: Diese Messe würde kein lineares Erlebnis werden. Sie würde Wellen schlagen. Und ich mittendrin.
2. Die Hallen im Überblick – oder: Wer sich orientieren kann, ist klar im Vorteil
Die Learntec 2025 war nicht einfach eine Messe, sie war ein Kontinent aus Pavillons. Wer dachte, er spaziert mal eben durch, um sich einen groben Überblick zu verschaffen, wurde eines Besseren belehrt. Die vier großen Hallen waren wie thematische Biotope, jedes mit eigener Dramaturgie.
Halle 1: LMS & L&D – die Bühne der Systeme
Hier vibrierte der Begriff "Learning Management System" (LMS) in tausend Variationen durch die Luft. Wer LMS sagt, sagt heute auch automatisch KI. Ob Erstellung, Verteilung oder Personalisierung: KI schien der Heilsbringer zu sein. Der heilige Gral, das Buzzword, der Catcher. Und doch wirkte vieles mehr wie Schaufenster-Illusion denn als funktionaler Durchbruch. Besonders auffällig: ein Impulsvortrag über den ROLI – Return on Learning. Der Stand (nicht der im Video oben) - eigentlich genial: riesig, mit eigener Bühne, modernes Design im Low-Poly-Stil, Anthrazit und Magenta (nein - es ist nicht die Telekom). Großer Flatscreen, Präsentation zum Thema ROLI - der USP der Marke. Der standeigene Speaker (vermutlich ein Mitarbeiter) beginnt seine Laudatio - tolle Folien - nur eben alles vom Screen abgelesen. "Was ist denn jetzt nun der ROLI", sehe ich alle Anwesenden nach 5 Minuten zwischen Wordhülsen denken. "Nunja...das kann viele sein", beteuert der gute Mann. Große Worte, große Bühne, große Enttäuschung. Kein Drive, kein Learning, kein Return. Schade.
Halle 2: Uni, Forschung & ein KI-Hund
Hier wurde es technologisch verspielter. Zwischen Forschungsprojekten und Campus-Software stand plötzlich ein roboterartiger Hund, KI-gesteuert, für Bildungszwecke angeblich. Vermutlich aber auch einfach ein studentisches Forschungsprojekt. Ziemlich cooler Geselle - erinnerte mich sofort an Boston Dynamics. Und ja, er konnte laufen. Und ja, ich war fasziniert. Zugleich fragte ich mich: Ist das Education oder schon Edutainment? Jedenfalls noch nicht iRobot.
Halle 3: New Work Evolution – mehr Raum als Inhalt
Man wäre versucht zu denken, hier ginge es um neue Arbeitskulturen, um Mindset, um Kollaboration. Stattdessen: ein Paradies für Raumausstatter. Silentboxen, Wohlklang-Möbel, flexible Sitzgelegenheiten. Die Hardware des New Work. Aber wo waren die Software, die Inhalte? Es gab ein paar interessante Key Notes und Talkrunden mit bekannten und weniger bekannten Gesichtern. Eine Hand voll Beratungsdienstleistungen schienen auszustellen. Spannend war der Impuls einer New-Work-Trainerin - Yoga-artige Übungen und feel-good-Ramba-Zamba haben eine kleine Menge von Menschen sichtlich in Bewegung gebracht. Abschließend gab es noch Konfetti zum Mitnehmen, um dem [vermutlich New-Work feindlichen] Chef dasselbe ins Gesicht zu pusten. So zumindest der abschließende Impuls, der für einige Lacher sorgte. Immerhin: ein Aussteller setzte auf Kreislaufwirtschaft und bereitete Büromöbel wieder auf. Nachhaltig gedacht – das verdient Respekt.
Halle 4: HR-Tech & Personalsoftware
Fast etwas abseits lag die vierte Halle, die sich dem Thema Human Resources widmete. Hier fanden sich Anbieter für Bewerbermanagement, Skilltracking und interne Bildungsplattformen. Beeindruckend viele Systeme, beeindruckend wenige Aussagen über deren konkreten Nutzen jenseits der Buzzwords. Wer fragte, fühlte sich schnell wie in einem Dialog mit ChatGPT auf Standby.
Vier Hallen, vier Welten. Und doch eine Gemeinsamkeit: die Ambition, das Lernen der Zukunft zu gestalten. Mal konkreter, mal diffuser. Mal inspirierend, mal irritierend.
3. Perlen der Messe

Zwischen all den Systemständen, die mit Buzzwords jonglierten, gab es sie doch: die Lichtblicke. Angebote, die nicht nur laut waren, sondern klug gedacht, durchdacht und im besten Sinne anders. Drei davon sind mir besonders im Gedächtnis geblieben.
The Simple Club: Vom YouTube-Kanal zur Ausbildungsinnovation
Was als digitales Nachhilfeprojekt zweier junger Youtuber begann, hat sich zu einer ernstzunehmenden Lernplattform entwickelt. The Simple Club wagt nun den Schritt ins B2B-Geschäft: Interaktive, KI-gestützte Lernbegleitung für Auszubildende – als Ergänzung zur Berufsschule. Das Ganze für einen „Fitnessstudio-Preis“. Aktuell decken sie bereits rund 40 Ausbildungsberufe ab – von Maler bis Maschinenbediener. Eine starke, demokratische Idee: Bildung, die attraktiv, zugänglich und praxisnah ist. Und ein gutes Beispiel dafür, wie eine B2C-DNA sinnvoll in die betriebliche Bildung überführt werden kann.
3spin Learning: Wenn Lernen immersiv wird
Wer kommunikationsintensive Situationen wie Verkaufsgespräche oder Mitarbeiterfeedbacks nicht nur theoretisch, sondern körperlich-szenisch erleben will, ist mit 3spin Learning gut bedient. Die Plattform kombiniert VR/XR mit LMS und bietet sowohl fertige Trainings als auch ein Autorentool zur Eigenentwicklung. Ob Vertrieb oder Leadership – hier wird realitätsnah geprobt, was sonst abstrakt bleibt. Der didaktische Mehrwert? Spürbar. Der technologische Anspruch? Hoch. Die Anschlussfähigkeit an betriebliche Systeme? Überraschend gut.
Torsten Fell und die VR-Area: Praxis meets Vision
Als Leiter des Immersive Learning Institutes kennt Torsten Fell die Gratwanderung zwischen Hype und Nutzen. Seine VR-Area war deshalb nicht nur eine Gadget-Spielwiese, sondern eine kuratierte Sammlung von Use Cases, Demos und Workshops. Mit seiner Expertise schaffte er es, VR nicht als Zukunftsmusik, sondern als Gegenwartsinstrument zu zeigen. Gerade im Corporate Learning wird sein pragmatischer Zugang zur Schlüsselfigur: "Machen statt warten."
Diese drei Beispiele zeigen, dass es auf der Learntec nicht nur um das „Was“, sondern auch um das „Wie“ geht. Und dass Innovation oft dort entsteht, wo Technologie auf didaktische Verantwortung trifft.

4. KI, LMS & ROLI – Buzzwords mit Luft nach oben
Es gab einen Moment auf der Learntec, der für mich sinnbildlich war. Ein großer Stand, riesige Bildschirme, perfekte Optik. Der Titel des Impulsvortrags: „Return on Learning Investment“ – kurz: ROLI (oben schon kurz erwähnt). Klingt verheißungsvoll, nicht wahr? Ich stellte mich in die Menge, die erwartungsvoll auf Input wartete – auf einen Durchbruch, eine Zahl, eine Methode. Stattdessen: eine Präsentation, deren Inhalte der Speaker schlicht ablas. Kein Beispiel, kein Aha-Moment, keine Substanz. Und am Ende? Die Frage aus dem Publikum: „Was genau ist jetzt der ROLI?“ Die Antwort: „Nun ja… das kann vieles sein.“
In mir blitzte es kurz: Wenn ich meine Kunden so beraten würde, müsste ich zu machen.
Das Thema zieht sich durch viele Stände: KI, LMS, L&D – Schlagworte, wohin das Auge blickt. Doch auf Nachfrage war die konkrete Antwort oft dünn. „Eigentlich für alle“, „kann man individuell anpassen“, „wir arbeiten mit künstlicher Intelligenz“ – das reichte selten, um ein klares Bild zu bekommen. Weder von der Zielgruppe, noch vom eigentlichen Nutzen. Viele Systeme wirkten eher wie Sammlungen von Features als durchdachte Lösungen.
Es drängt sich eine Analogie auf: Die Speaker lesen von Folien, die Systeme bedienen Buzzwords, die Anbieter wirken bemüht. Alles sieht gut aus – doch was bleibt wirklich hängen? Wer nicht über das Was, sondern über das Warum und Für Wen spricht, fällt in der Masse kaum auf.
5. Zielgruppen? Fehlanzeige

Ich war nicht nur als neugieriger Besucher auf der Learntec, sondern auch in einer Art Erkundungsmission: Welche Lösungen passen zu meinen Kunden? Kleine und mittlere Unternehmen, die in der Transformation stehen, die Klarheit brauchen – nicht mehr Tools. Mein Ziel: herausfinden, wer hier wirklich in der Lage ist, echten Mehrwert zu liefern.
Also stellte ich die simpelste aller Fragen an viele Aussteller:
„Für wen genau ist Ihr Produkt gedacht? Wie habt ihr euren Sweet Sport definiert?“
Die Reaktionen? Ein bestürzendes Schauspiel. Kurzes Innehalten, zögerliches Lächeln und dann: „Eigentlich für jedes Unternehmen…“ Oder: „Unsere Lösung ist sehr flexibel einsetzbar.“
Für mich ist das sehr schwer zu hören, da ich mich immerzu frage, warum ich mich denn nun für diese und nicht die andere Lösung entscheiden soll. Wenig differenziert - schade.
Gerade im HR- und Bildungsbereich ist das fatal. Denn wer selbst keine Zielgruppe kennt, wird auch den Nutzen nicht sauber benennen – und demnach selten echte Probleme lösen. Die Sache ist ja die - es kaufen nie "Unternehmen", sondern immer "Menschen" die das für "Key User" aufzäumen.
Für mich als Berater und Umsetzungsbegleiter ist genau das jedoch der zentrale Hebel: Ich muss wissen, was ein System für wen leistet – in welcher Tiefe, mit welchem Aufwand, bei welcher Reife. Und genau das kam viel zu selten zur Sprache. Eine verpasste Chance für echte Zusammenarbeit.
6. New Work Evolution – mehr Silentbox als Substanz

Der Begriff New Work weckt Erwartungen: an neue Formen der Zusammenarbeit, an Kulturentwicklung, an Sinn, Haltung, Verantwortung. Wer jedoch die Halle 3 der Learntec betrat, fand etwas ganz anderes vor: eine Messe für Raumkonzepte.
Silentboxen in Serie. Loungesessel, die mehr nach Business-Class als nach Teamdynamik aussehen. Stylische Kurien, Akustikwände, Designer-Stehtische. Alles hochwertig, keine Frage. Aber wo war der Inhalt? Wo die Modelle, die Prinzipien, die echten Diskurse?
Einige Keynotes gab es – bekannte Gesichter, gute Gedanken. Aber im Ausstellerbereich: kaum Coachs, kaum Organisationsentwickler:innen, wenig Diskurs über Führung, Vertrauen, psychologische Sicherheit. Und das bei einem Thema, das doch von zwischenmenschlicher Interaktion lebt.
Ein kleiner Lichtblick: ein Anbieter, der gebrauchte Büromöbel wieder aufbereitet – ein echtes Statement in Sachen Nachhaltigkeit. Chapeau! Aber er war die Ausnahme.
Insgesamt wirkte die New Work Evolution wie eine Einladung, Arbeitsräume schöner zu machen – nicht unbedingt sinnvoller. Und obwohl ich Design liebe, fehlte mir die inhaltliche Tiefe. Mehr „Work“ als „New“, könnte man sagen.

7. Zwischen Pommes, DJ und Deep Work
Mitten auf dem Messegelände, eingerahmt von Hallen voller Systeme, Botschaften und digitaler Zukunftsverheißungen, öffnet sich ein überraschend analoger Ort: ein Garten. Nein – nicht metaphorisch. Ein echter Garten mit Food-Festival-Atmosphäre, DJ-Bühne, Streetfood-Trucks, Sonnenschirmen und Liegestühlen.
Die Schlange am Burgerstand: gut 40 Meter. Die Pommes: duftend. Die Gesichter: durchwachsen – zwischen Vorfreude und Unterzuckerung. Ich stellte mich an und beobachtete. Neben mir ein Mann im Business-Outfit, Laptop unter dem Arm, Blick aufs Handy. Vor mir: zwei Gründerinnen, die sich die Wartezeit mit einem spontanen Business-Call vertrieben. New Work in freier Wildbahn? Vielleicht.
Und dann war da er: der DJ. Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern, luftiges Kurzarmhemd, sanftes Wippen. Die Musik: angenehmer Lounge-House, kein Malle-Geballer – aber eben auch keine erkennbaren Soundunterschiede, obwohl der gute Mann kontinuierlich an seinem Mischpult hantierte. Vielleicht nur Posen? Oder doch Sounddesign? Ich war gebannt. Ein Live-Act wie ein LMS-Stand: gut verpackt, aber akustisch schwer greifbar.
Ein paar Meter weiter: ein Mann mit Noise-Cancelling-Kopfhörer in einem Zoom-Call, mitten im Rasen, Laptop auf dem Schoß. Ich frage mich: Warum arbeiten Menschen auf einer Messe, die vor Impulsen überquillt? Oder ist das die ultimative Integration von Event und Arbeit?
In diesem Moment dachte ich: Vielleicht ist das der wahre Geist der Learntec – dieser hybride Zwischenzustand aus Tun, Sehen und Hinterfragen. Zwischen Pommes und Powerpoint. Zwischen Bierzelt-Feeling und Business Buzzwords.

8. Fazit – Zwischen Faszination und Floskel
Die Learntec 2025 hat mich bewegt – im besten wie im irritierendsten Sinne. Sie war Spiegelbild einer Branche, die zwischen Innovationsdrang und Orientierungssuche pendelt. Zwischen großen Visionen und zuweilen kleinen Antworten.
Ich habe tolle Impulse mitgenommen: Lernplattformen mit Haltung, VR-Anwendungen mit Tiefgang, Aussteller mit echter Überzeugung. Doch ich habe auch erlebt, wie schnell ein Buzzword zur Projektionsfläche wird – und wie oft der konkrete Nutzen im Nebel bleibt.
Besonders bezeichnend war ein Moment gegen Ende meines Besuchs: Eine freundliche Dame der Messeorganisation drückte mir einen Fragebogen via Tablet in die Hand – gefühlt 40 Fragen in 10 Minuten, Haken setzen, Kreuzchen machen. „Wir wollen uns weiterentwickeln,“ sagte sie. Der Wille zur Verbesserung war spürbar, doch ich konnte mir nicht helfen: In einer Welt voller KI, NLP und Sentiment-Analyse hätte ein kurzes strukturiertes Interview mit Audiofeedback und Auswertung via Sprach-KI wohl tiefere Einblicke gebracht – und mir zehn Minuten geschenkt.
Aber vielleicht ist genau das der Punkt: Wir leben in einem Übergang. Zwischen analoger Gründlichkeit und digitaler Geschwindigkeit. Zwischen dem Wunsch nach Tiefe und dem Zwang zur Effizienz. Und so bleibt die Learntec für mich vor allem eines: ein Ort der Widersprüche, an dem sich die Zukunft des Lernens nicht linear, sondern fragmentarisch zeigt.
Und ich? Ich gehe raus mit Impulsen, Inspiration – die Sonne hat das Gemüt zusätzlich versüßt. Es war ein schöner Tag.

